Für die Jüngeren sowie für die vom Westen: Die 1980er Jahre in Osteuropa waren geprägt von einer Kluft zwischen dem starren ideologischen Establishment der Kommunistischen Partei und den breiten Erwartungen der Bevölkerung auf wirtschaftliche und politische Veränderungen. Für die Mitglieder des Establishments ging es dabei nicht nur um die Aufrechterhaltung warmer Posten, sondern de facto um ihre Hälse: Die Art und Weise, wie sie an die Macht gekommen waren und sich dort hielten, war kaum vertretbar, und die Atmosphäre in der Gesellschaft verhieß nichts Gutes für sie.
Sie sahen die Erlösung in der ideologischen Arbeit mit den Massen sowie in der Zensur. Die Mainstream-Medien stellten den Westen einheitlich als Erzfeind dar, der durch die Verbreitung bürgerlicher Propaganda durch die Feinde des Sozialismus die ideologische Diversion betreibe, mit dem Ziel, das sozialistische System gewaltsam zu stürzen und den Kapitalismus zu etablieren. Die Wirkung war bescheiden; Der Westen war durch einen vorbildlichen Lebensstandard, ein beträchtliches Maß an Freiheiten sowie die Idee der Menschenrechte gekennzeichnet und die Absichten, das Regime gewaltsam zu stürzen, könnten nur mit leeren Worten begründet werden.
Im März 1985 wurde Michail Gorbatschow zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der UdSSR und leitete die Perestroika ein, einen Komplex weitreichender wirtschaftlicher und politischer Reformen mit dem Ziel, die UdSSR und den gesamten Ostblock auf ein mit dem Westen konkurrenzfähiges Niveau zu heben. Dies weckte begeisterte Erwartungen in der Bevölkerung und zugleich Besorgnis bei den osteuropäischen Establishments: Die Perestroika beinhaltete nicht nur Prinzipien, die ihre Machtpositionen bedrohten, sondern auch eine abrupte Neubewertung des bisherigen Feindes als Freund sowie ein Bündnis mit ihm.
Die gesellschaftliche Spaltung erhielt damit eine neue Dimension. Die Hoffnungen der Satellitenbevölkerungen klammerten sich auf den bisherigen Hegemonen wie auf einem willkommenen Verbündeten im Kampf gegen die erstarrten einheimischen Establishments, die er zuvor an die Macht gebracht hatte. Aus ihrer Sicht hatte Gorbatschow Hochverrat begangen, ist übergelaufen, hatte sie im Stich gelassen und ihren Schicksalen überlassen.
Binnen vier Jahren brach der Ostblock zusammen, und zwei Jahre später auch die UdSSR selbst. Die bisherige Hegemonialmacht KPdSU in Russland wurde verboten und ihre osteuropäischen Postumi liefen eilig zu dem bisherigen Feind über.
Die Geschichte hat ihre eigene Logik. Sie wiederholen sich.
In den 20er Jahren dieses Jahrhunderts kristallisierte sich in den westlichen Gesellschaften ein Schisma heraus. Alles, was sie vierzig Jahre lang attraktiv gemacht hatte – traditionelle Werte, soziale Marktwirtschaft, Frieden, Menschenrechte, Freiheit und Demokratie – wurde brutal eingeschränkt und beseitigt. Stattdessen verbreitet das Establishment eine Covid-Hysterie und beteiligt sich eifrig am Krieg in der Ukraine und am israelischen Völkermord. Die Hoffnungen der Bevölkerung klammern sich auf die neuen Bewegungen populistischer (rechter und linker) Parteien. Und wiederum geht es dabei den Mitgliedern des Establishments nicht nur um die Aufrechterhaltung warmer Posten, sondern de facto um ihre Hälse: Ihr Weg an die Macht und zu derer Beibehaltung umfasst eine ganze Reihe von Handlungen, die als kriminell eingestuft werden können, und die Atmosphäre in der Gesellschaft verheißt nichts Gutes für sie.
Sie sehen die Erlösung in einer Medienkampagne und Zensur. Die Mainstream-Medien stellen sowohl Russland als auch China einheitlich als finstere Diktaturen dar und führen eine Kampagne gegen die von Putins Agenten verbreiteten Desinformationen, russische Propaganda, Verschwörungstheorien und Antisemitismus. Nach dem Ukrainesieg bereitet Russland eine Invasion im Westen vor. Die Wirkung ist bescheiden; Angesichts der Covid Massnahmen, des Kriegs in der Ukraine und des Völkermords im Gaza hat der Westen jegliche Glaubwürdigkeit verloren und die russische Absicht, ihn anzugreifen, kann nur durch leere Worte begründet werden.
Im Januar 2025 wurde Donald Trump zum US-Präsidenten und begann seine eigene Perestroika, MAGA, eine Kampagne gegen den tiefen Staat, den Prozess der Säuberung der amerikanischen Gesellschaft von verborgenen Finanz- und Machtstrukturen. Dies weckte begeisterte Erwartungen in großen Teilen der Bevölkerung und zugleich Besorgnis beim bestehenden amerikanischen Establishment. Die MAGA beinhaltete nicht nur Prinzipien, die ihre Machtpositionen bedrohten, sondern auch eine abrupte Neubewertung des bisherigen Feindes als Freund sowie ein Bündnis mit ihm.
Die gesellschaftliche Spaltung erhielt damit eine neue Dimension. Die Hoffnungen der Satellitenbevölkerungen klammerten sich auf den bisherigen Hegemonen wie auf einem willkommenen Verbündeten im Kampf gegen die erstarrten einheimischen Establishments, die er zuvor an die Macht gebracht hatte. Aus ihrer Sicht hatte Trump Hochverrat begangen, ist übergelaufen, hatte sie im Stich gelassen und ihren Schicksalen überlassen.
Dieses ist vorhersehbar: der Zusammenbruch des atlantischen Blocks sowie der Überlauf seiner Postumi zum früheren Feind. Wird auch der Zusammenbruch des Hegemonen folgen? Ich vermute, dass es der Fall sein wird.
Aber gehen wir noch einen Schritt weiter.
Auf die Euphorie des Endes des Kalten Krieges und die Begeisterung für umfassenden Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte folgte deren schrittweiser Abbau. Rückblickend betrachtet hatte der neue Hegemon von Anfang an nur die eigene globale Weltherrschaft im Sinn. Der neu gewonnene Freund wurde allmählich zum Erzfeind und in Europa, dem Nahen Osten und Afrika brachen neue Kriege aus.
Können wir nach dem Zusammenbruch des atlantischen Blocks mit einer ähnlichen Entwicklung rechnen?
Es gibt Hinweise, dass dies möglicherweise nicht der Fall sein müsste. Den neuen Supermächten China, Indien und letztlich auch Russland fehlt die westliche Tradition kolonialer Ausbeutung. BRICS+ bezeichnet sich selbst als multipolare Gemeinschaft gleichberechtigter Staaten, die sich nicht in die inneren Angelegenheiten der anderen einmischen. Ihr Paradigma ist Kooperation, nicht Wettbewerb.
Doch sollten wir nicht vergessen, dass die Zukunft selbst in den 1990er-Jahren äußerst optimistisch schien. Und dass eine Gesellschaft, die ihre Geschichte vergisst, dazu verdammt ist, sie zu wiederholen. Wir haben im letzten Vierteljahrhundert genügend tragische Erfahrungen gesammelt, um zu wissen, worauf wir beim nächsten Mal achten müssen, und um rechtzeitig dagegen vorgehen zu können.
Perestrojka, 28. Februar 2025